Sturm im Fontannen-Tobel – aus den Anfangszeiten des Hobby-Goldrausches im Luzerner Napfgebiet

01. August 2022 | Goldwaschen

Verfasser: Victor Jans und Ernst Rupp, Kriens und Steffisburg

 

Anmerkung: Der Text ist in Ich-Form geschrieben. Er ist jedoch eine Verschmelzung der Erfahrungen und Beobachtungen beider Autoren. Als langjährige Goldwäscher im Napfgebiet haben beide praktisch identische Erfahrungen zu denselben Zeitpunkten gemacht.

«Schwamm drüber»: Wenn der Gast spätabends alle Getränke bezahlt hat, wischt der Kellner die Strichliste auf der Kreidetafel aus. Die Schuld ist beglichen. Menschen müssen Schulden begleichen – oder jemand begleicht sie für sie. Mit Blick auf Jesus Christus lässt Gott den Propheten Jeremia 500 Jahre früher sagen: «Ich werde sie sauber machen von dem ganzen Dreck, ich vergebe ihnen ihre Schuld. Alles, was sie gegen mich gemacht haben, alles werde ich ihnen verzeihen.» (Jer 33.8 / Volxbibel).

Das können nicht alle Menschen im Tal der Grossen Fontanne gegenüber den Goldwäschern sagen. Die Natur hingegen scheint grosszügiger zu sein. Sie deckt die Spuren der Goldwäscher auf ihre Art zu.

Das Tal der Grossen Fontanne im Luzerner Napfgebiet ist – so hat man den Eindruck – sogar aufs Spuren-Verwischen angelegt. Die steilen, bewaldeten Hänge sind ständig in Veränderung. Die Bäume finden kaum Halt in dem kragen Boden, rutschen zu Tal, ziehen durchwurzelte Schuttmassen mit. Aus dem bröckligen Fels – der Nagelfluh – lösen sich immer wieder Steine. Die ständige Feuchte und die von überall heruntertropfenden oder fliessenden Rinnsale ergiessen sich über die überhängenden Klippen. Sie nagen beharrlich an Fels und Erde. Der schmelzende Schnee rutscht im Frühling mit ganzen herbstlichen Laub- und Erdmassen hinunter bis in den Bach. So ist jede menschliche Spur – Wege, Mauerreste, Holzhütten, Goldwäscher-Löcher – in vorausbestimmbarer Zeit verschwunden: Überdeckt, wegerodiert, wie in Luft aufgelöst.

Ich konnte nicht mehr herausfinden, wann ich genau das erste Mal an der Fontanne war, aber sicher besuchte ich bereits 1980 dieses wilde Tal mehrmals. Das Auto parkierte ich meistens  bei einer Brücke über die Fontanne. Auf der linken Bachseite der Brücke konnte man damals gut hinabsteigen. Später wurde der Abstieg schwieriger und ich stieg auf der rechten Bachseite den Weg hinauf und dann über eine Weide in den Bach hinab. Damals war ich noch ein Anfänger im Goldwaschen. Ich arbeitete mit einem 5mm Maurersieb, einem grösseren Becken und zum Auswaschen hatte ich eine braune Kunststoffschüssel dabei.

In der Regel arbeitete ich von der Brücke an etwa 200 m weit aufwärts und fand immer etwas Gold, meist kleine Flitter. An einer Stelle wo zwei Felsblöcke nebeneinander im Fluss lagen und sich das Wasser zwischendurch zwängte, fand ich erstmals einen über 4mm langen Flitter. Dies spornte mich sehr an. Irrtümlich glaubte ich damals, dass weiter oben noch grössere Flitter zu finden wären. Ich habe soweit als möglich die Schlucht durchsucht, aber ohne grossen Erfolg.

Irgendwann erhielt ich das von Bruno Bieri verfasste Büchlein „Gold vom Napf“. Ich kontaktierte den darin interviewten Reinhold Lemke. Dieser sagte mir, er gehe einfach nach Lust und Laune an die Fontanne. 

Er gab mir an, bei welchem Bauer er seinen orangen Döschwo mit den zwei blauen Kotflügeln parkierte. Tatsächlich  sah ich am angegebenen Ort einmal sein Auto und wie er im Wald abwärts stieg. Bald hatte ich ihn eingeholt. Er sagte mir, dass weiter oben keine grossen Flitter zu finden seien, diese befänden sich weiter unten. Er lud mich ein, mitzukommen und so könne ich sehen, wie das mit seinem schwarzen Plastik-Kännel funktioniere.

Er arbeitete damals etwa einen Kilometer flussabwärts von meinem Autoparkplatz. Ich war sehr überrascht, wie viel Gold Reinhold mit diesem Kännel fand. Er sagte, ich könne auch dort graben, es habe genug Platz. Auch sagte er, ich könne seine Werkzeuge benützen, wenn er nicht da sei. Im dichten Unterholz hatte er ein grosses Brecheisen und einen robusten Industriebesen sowie einige andere Sachen deponiert. Mit dem Besen wischte er so gut es ging den Sand auf dem Grund des Baches in seine Schaufel. Die Henderson-Pumpe war damals noch nicht erfunden.

Als nächstes fuhr ich zu Siber & Siber in Aathal und kaufte mir ebenfalls eine solche Schleuse. Es war ein aus den USA importiertes Modell. Ich war überrascht wie gut diese funktionierte. Aber als das Wasser kalt wurde, fing sich die Schleuse an zu verziehen, so sehr, dass ich sie schliesslich nicht mehr gebrauchen konnte. In einer Spenglerei liess ich dann nach meinen eigenen Plänen eine zusammensetzbare Schleuse herstellen. Diese funktionierte in der Praxis noch nicht besonders gut und so liess ich eine zweite, verbesserte Schleuse herstellen. Diese benutzte ich bis ins Jahr 2000.

Um zur Stelle zu kommen wo Reinhold arbeitete, parkierte ich das Auto beim selben Bauer wie er. Der Bauer machte auf mich einen misstrauischen und zurückhaltenden Eindruck. Seine Frau hingegen war die Freundlichkeit in Person. Am späten Nachmittag nach dem Goldwaschen offerierte sie oft ein «Kafi Träsch, Chrüter oder Luz». Dann sassen in ihrer kleinen Stube zwei oder drei Goldwäscher bei Kaffee und Kuchen. Sie genoss dieses Zusammensein sichtlich. Für sie war es vermutlich eine willkommene Abwechslung in der eintönigen, einsamen und harten Landarbeit. Als Dank brachte ich ihr jeweils etwas aus der Bäckerei mit.

Vom Parkplatz bei der Bauernfamilie führt ein schöner Pfad zur Fontanne hinab. 1981 fand ich dort mehrmals mehr als ein Gramm Gold pro Tag. Der ganze Bachabschnitt war gut. Immer wieder kam schönes Gold zum Vorschein. An einer Stelle stiess ich auf eine kleine Verwerfung im Fels. Dadurch verlief ein Spalt quer durch den Bach. Das war natürlich sehr gut.

Ein enger Goldwäscher-Kollege von Reinhold Lemke war der Apotheker Fischer aus Luzern. Mir fiel dieser auf, weil er auch im Winter mit den blossen Händen im eiskalten Wasser Gold suchte. Wenn jemand das Gewicht des gefundenen Goldes wägen wollte, so konnte man zu ihm gehen. Er besass eine Apothekerwaage, welche das Gewicht der gefundenen Flitter genau anzeigte.

1982/1983 nahm die Goldwaschtätigkeit an der Fontanne, wo ich arbeitete, sehr stark zu. Überall lagen weggeworfene Kännel, Werkzeuge und Abfälle herum.  Es gab Stürmereien mit Fischern, Bauern und unter den Goldwäschern. Der Bauer verbot mir, das Auto bei ihm abzustellen. Andere Goldwäscher hatten auch begonnen, ihre Autos dort zu parkieren und versperrten alles. Sie liessen die Gatter bei den Weiden offen, so dass nachher die Bauern den Rindern nachrennen mussten.

Ein anderer Goldwäscher hatte sein Fahrzeug ebenfalls bei diesem Bauern abgestellt. Er kam eines Abends nicht mehr zurück. Es war Schnee gefallen und der Bauer ging auf die Suche. Er fand den Goldwäscher unten bei der Fontanne. Er war unter eine auf vier Stelzen gebaute Scheune gekrochen. Der Bauer half ihm zu seinem Auto zurück. Anstatt sich zu bedanken, beschwerte sich der Goldwäscher und sagte, der Bauer hätte ihn liegen lassen sollen, damit sein Elend ein Ende hätte.

Im Sommer 1983 war es schlimm. Überall schlugen Goldsucher entlang der Fontanne Zelte auf, ja sogar eine Geologie-Klasse aus Basel verbrachte einige Tage in Zelten dort unten. Nur wenige räumten nachher auf.

An der Stelle des erwähnten Felsspalts in der Fontanne campierten drei weitere Goldwäscher. Sie hatten gesehen, wie ich den Spalt ausgeräumt hatte. In meiner Abwesenheit brachen sie den ganzen Spalt auf. Sie wollten darin Fische fangen und warfen dazu Sprengstoff in die Fontanne. Jemand meldete dies der Polizei und die drei Goldwäscher sah ich nachher nie mehr.

Alle diese Ereignisse gaben dem Bauern den Rest. Fortan durfte niemand mehr bei ihm parkieren. Er setzte das Parkverbot richterlich durch und stellte Verbotsschilder auf. Nach diesen Stürmereien verging mir die Lust jedoch ein wenig. Ich ging nur noch unter der Woche oder ausserhalb der Saison hier Gold waschen.

Den Seeblibach hatte ich mir immer als „Reserve“ vorgesehen. Als ich einmal dort vorbeischaute, sah ich jedoch, dass bis zum „Glashüttli“ alles umgegraben worden war. Ich wandte mich deshalb andern Gebieten zu. Auch Reinhold Lemke habe ich nach den Stürmereien von 1983 nie mehr gesehen.

Das Parkverbot des Bauern zeigte eine gewisse Wirkung. So richtig beruhigen liessen sich die Goldwäscher-Stürme aber erst, als die Natur sich zu Wort meldete. Wann das war, das kann ich nicht mehr genau eruieren. Es muss in den 2000er-Jahren gewesen sein.  Es war wieder einmal Frühling im Fontannental. Winterliche Eiszapfen hingen noch an den Felsen. Der Schnee war am Schmelzen. Die Böden waren so richtig nass. In den Nächten wurde es kalt und tagsüber warm. Die feinen Wasseräderchen in den Felsritzen wechselten zwischen erfrieren und verfliessen. Dann donnerten mit einem Schlag gewaltige Felsmassen aus der über 100 m hohen Fluh zu Tal. Auf einer Strecke von 50 m füllten sie den Talboden und deckten den Bach vollständig zu. Keine menschliche Sprengung hätte einen solchen Bergsturz erzeugen können: Haushohe Felsbrocken ragten aus Massen von Nagelfluh-Schutt, vermischt mit Baumstämmen, Sträuchern, Schlamm und Laub. Nur langsam bahnte sich der Bach in den folgenden Monaten wieder einen Weg durch den Dreck. Zuerst unterirdisch, dann als sandiges, schlammiges Rinnsal.

Noch Jahre nach dem Bergsturz waren die Spuren flussabwärts sichtbar. Der Bach unterhalb des Bergsturzes gewann seinen alten Strömungs-Schwung nicht mehr zurück. Geradlinig und langweilig floss er seither daher.  Jedes Hochwasser wurde von den daliegenden Schuttmassen zu einem dosierten Wasserabfluss reguliert. Feiner Sand und Schlick fand sich übermässig auf den Schaufeln der Goldwäscher – kein gutes Zeichen. Goldwäscher brauchen über Jahrzehnte von der Strömung aussortierte und mit Gold angereicherte Kiesbänke.

 

Vor rund zwei Jahren beschloss ich, mir diesen Fontanne-Flussabschnitt aus den frühen 80er-Jahren noch einmal anzusehen – immer noch als Goldwäscher wohlgemerkt. Noch heute ist es strikte verboten, beim Bauern zu parkieren und seine Wiese zu überqueren. Deshalb musste ich weit flussaufwärts ausholen, um einen Zugang durch den Wald zu finden. Im Wald herrscht freies Durchgangsrecht. Auf dem Rückweg war es mir zu mühsam, dieses "Gekraxel" durch den Wald zu wiederholen. Ich beschloss, die Abkürzung über des Bauern Weide hoch zur Strasse zu nehmen. Ich war ziemlich überrascht, auf ein Verbotsschild zu treffen, als ich aus dem Wald trat. Doch ich war zu müde, um umzukehren. Meines «Übertretens» bewusst, ging ich dem Wald entlang auf der Wiese hoch. Schlussendlich war das Gras noch nicht hoch gewachsen und ich richte keinen Schaden an, rechtfertigte ich mein Vergehen innerlich. Ich rechnete natürlich nicht damit, einem Nachfahren des Bauern  direkt «in die Arme» zu geraten.

Ich liess ihn zuerst rund 10 Minuten austoben und entschuldigte mich. Ich kam mir vor wie ein gemassregeltes Kind. Aber ich musste eingestehen: Er hatte Recht. Er durfte mir den Zugang verbieten. Ich erwähnte einige Erfahrungen aus der Vergangenheit. Er wurde etwas ruhiger, meinte aber, dass das ganz andere Zeiten gewesen waren. Ich verstehe das - nach diesen Stürmereien. Innerlich dachte ich mir: Der Apfel ist nicht weit vom Baum gefallen – und dankte zum Himmel, dass es da jemanden gibt, der jeglicher meiner Schulden schon vor 2000 Jahren am Kreuz getragen hat.

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